Barnum-Effekt: Warum wir dazu neigen, uns in vagen Beschreibungen wiederzufinden
Wir alle lieben das Gefühl, verstanden zu werden. Aus diesem Grund sind Horoskope so beliebt. Sie spielen mit dem sog. Barnum-Effekt. Dieser beschreibt die menschliche Neigung, allgemeine und unspezifische Aussagen als zutreffend anzuerkennen. Eine typische kognitive Verzerrung. Doch was hat es damit genau auf sich?
Was ist der Barnum-Effekt?
Dieses psychologische Phänomen unterscheidet sich deutlich vom Michelangelo-Phänomen und wurde von Phineas Taylor Barnum entdeckt und nach ihm benannt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts leitete er das populäre Kuriositätenkabinett "Barnum’s American Museum" in New York. Die spätere Relevanz des Effekts geht auf Barnums Konzept zurück, in seinem Zirkus eine Vielzahl unterschiedlicher Attraktionen anzubieten, unter dem Motto: "Da ist für jeden etwas dabei!"
Der Barnum-Effekt ist eine kognitive Verzerrung, die auftritt, wenn wir glauben, dass eine allgemeine Charakterisierung mit einem unspezifischen Wahrheitsgehalt auf uns selbst zutrifft. In Wirklichkeit ist die Beschreibung allgemein und vage genug, um auf fast jeden zuzutreffen. Dieser Effekt wirkt aufgrund der natürlichen Tendenz unseres Gehirns, allgemeinen Aussagen eine persönliche Bedeutung beizumessen.
Darüber hinaus werden positive Kommentare eher als relevant akzeptiert, da wir im Allgemeinen kritischen Aussagen weniger glauben. Gerade Wahrsager und Horoskope nutzen diese allgemeingültigen und nicht falsifizierbaren Aussagen gern für ihre Prophezeiungen. Solch unspezifische Formulierungen und charakterbeschreibende Formulierungen werden für Millionen von leichtgläubigen Lesern in den Zeitungshoroskopen abgedruckt und haben deshalb nichts mit der individuellen Lebenssituation zu tun.
Warum fallen wir darauf hinein?
Die Hintergründe für den Barnum-Effekt sind vielfältig. Ein Faktor könnte in der Suche nach Identität und Selbstverständnis liegen. Wir sind oft bestrebt, uns zu verstehen und zu definieren. Vage Aussagen bieten daher genügend Interpretationsspielraum, um sich darin wiederzufinden. Zudem spielt auch die Sehnsucht nach Anerkennung eine Rolle – wer hört nicht gerne positive Dinge über sich selbst?
Barnum-Aussagen werden häufig in Horoskopen genutzt, damit sie von uns als zutreffend wahrgenommen werden. Bei der Konstruktion von Barnum-Aussagen werden verschiedene Mittel genutzt:
Ungenaue Aussagen: „Du suchst Dir Ziele, die Du verfolgst, genau aus.“ – Was nach einer tiefen Persönlichkeitsanalyse klingt, umfasst schlicht alle Ausprägungen von Zielstrebigkeit. Egal, ob wir mit großem Elan unsere Ziele anstreben oder es kaum vorwärts geht: In dieser Barnum-Aussage finden wir uns alle wieder.
Wünschenswerte Beschreibungen: Die meisten von uns haben ein Idealbild, dem wir gerne entsprechen würden. Wenn uns suggeriert wird, dass wir dem bereits entsprechen und uns positive Eigenschaften zugeschrieben werden, nehmen wir das gerne für bare Münze (zum Beispiel "Du bist ein ehrlicher Mensch und zeigst anderen viel Empathie.“)
Weit verbreitete Ängste und Wünsche: Wenn persönliche Wünsche oder Ängste, die wir alle teilen (zum Beispiel "Du wünschst Dir stabile Beziehungen in Deinem Leben" oder „Du hast Angst, zu scheitern") als individuelle Anliegen behandelt werden, wirkt es auf uns, als würden sie insbesondere auf uns zutreffen – dabei geht es den meisten anderen auch so.
Subjektive Aussagen: Formulierungen wie "Vor großen Risiken schreckst Du oft zurück" stimmen meistens, weil wir den schwammigen Begriff "großes Risiko" automatisch als "für uns persönlich zu groß" interpretieren. Aus diesem Grund empfinden wir derart subjektive Ausdrücke als auf uns zutreffend.
Wie können wir uns vor dem Barnum-Effekt distanzieren?
Sich von dem Barnum-Effekt zu distanzieren erfordert Bewusstsein, Selbstreflexion und kritisches Denken. Hier sind einige Schritte, die dabei helfen können:
Selbstreflexion: Nimm Dir Zeit, Deine eigenen Überzeugungen und Persönlichkeitsmerkmale zu überdenken. Frage Dich, ob bestimmte Aussagen wirklich spezifisch genug sind, um exklusiv auf Dich zuzutreffen, oder ob sie so allgemein sind, dass sie auf viele Menschen zutreffen könnten.
Kritisches Denken entwickeln: Hinterfrage Aussagen, die vage oder allgemein sind. Fordere Dich selbst dazu auf, nach konkreten und präzisen Informationen zu suchen. Sei skeptisch gegenüber Beschreibungen, die zu positiv oder zu negativ sind und überlege, ob sie wirklich eine genaue Darstellung Deiner Persönlichkeit bieten.
Bewusstsein für den Effekt schärfen: Lerne mehr über den Barnum-Effekt, um ein tieferes Verständnis für seine Mechanismen zu entwickeln. Achte darauf, wie sich der Effekt in verschiedenen Lebensbereichen manifestieren kann, sei es in Horoskopen, Persönlichkeitstests oder Marketingstrategien. Achte ab heute darauf.
Objektive Rückmeldungen suchen: Hole Dir Feedback von vertrauenswürdigen Freunden, Familienmitgliedern oder Kollegen ein, die in der Lage sind, Dir ehrliche und konstruktive Rückmeldungen zu geben.
Entwicklung realistischer Selbstbilder: Akzeptiere, dass niemand perfekt ist, und erkenne sowohl Deine Stärken als auch Schwächen an. Setze realistische Ziele und strebe danach, Dich kontinuierlich zu verbessern, anstatt unrealistischen Idealen nachzujagen.
Wenn man weiß, welche Tricks angewandt werden, um Barnum-Aussagen zu konstruieren, ist es bereits um einiges leichter, scheinbar individuelle Aussagen als vage und allgemeingültige Behauptung zu entlarven. Und auch eine stets skeptische Grundhaltung, die wir in Zeiten von Fake News und Infodemie sowieso alle haben sollten hilft, um psychologischen Phänomenen wie dem Barnum-Effekt nicht auf den Leim zu gehen. Die Devise lautet: Immer kritisch hinterfragen!
Wenn Du generell mehr über Dich im Spezifischen erfahren möchtest und weniger allgemeingültigen Aussagen von Horoskopen folgen möchtest, unterstützt Dich unsere professionelle & detaillierte Persönlichkeitsanalyse dabei. Hier geht’s zur Terminvereinbarung.
Verfasserin: Jessica Gräfe